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Forschungs- und Nachwuchskolleg
Diagnostische Kompetenzen von Lehrkräften: Diagnostische Urteilsprozesse als Informationsverarbeitung und die Bedeutung von Personen- und Situationsmerkmalen.

  • Ziele: Forschungsstand verbessern, Fördermöglichkeiten diagnostischer Kompetenz generieren

  • Forschungsfragen: Diagnostische Urteilsprozesse und Bedeutung von Personen- und Situationsmerkmalen

  • Kooperationspartner: PH Freiburg und PH Heidelberg

  • Projektleitung: Prof. Dr. Timo Leuders, Jun.-Prof. Dr. Katharina Loibl, Prof. Dr. Tobias Dörfler

  • Fördersumme: 12 Abordnungsstellen + 1 Jun.Professur auf 3 Jahre

  • Förderzeitraum: 08/2020 – 07/2023 2. Förderphase

  • Mittelgeber: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

  • Projektart: Forschungs- und Nachwuchskolleg

Beschreibung

Unter den vielfältigen Tätigkeiten, die Lehrerinnen und Lehrer täglich ausführen, wird den diagnostischen Aktivitäten, d. h. jedweder Form der Gewinnung von Informationen über den Lernstand oder Lernprozess zur Vorbereitung pädagogischer Entscheidungen, eine Schlüsselfunktion zugesprochen. Die Gesamtheit von Wissen, Können, Motivationen und Überzeugungen von Lehrkräften, welche sie hierzu befähigen, werden unter dem Begriff der diagnostischen Kompetenz zusammengefasst. Der großen Bedeutung dieser Facette professioneller Kompetenz steht ein unbefriedigender Forschungsstand gegenüber, der durch eine Reihe von bislang wenig miteinander verbundenen Forschungstraditionen gekennzeichnet ist. Eine erste Phase des Forschungs- und Nachwuchskollegs DiaKom widmete sich der Aufklärung von Einflüssen, Strukturen und Fördermöglichkeiten diagnostischer Kompetenz.

Die zweite Phase des Forschungs- und Nachwuchskollegs zielt darauf ab, in zwölf Teilprojekten Erklärungswissen für die Entstehung diagnostischer Urteile in typischen Diagnosesituationen und zu relevanten Diagnosegegenständen in verschiedenen Unterrichtsfächern zu generieren. Aus Sicht der Forschung liefert es einen Beitrag dazu, diagnostische Urteile verstärkt auf der Basis kognitiver Modellierungen zu beschreiben. Aus Sicht der Praxis bieten die angestrebten Erkenntnisse die Basis dafür, wirksame Designs für die Förderung diagnostischer Kompetenzen im Rahmen von Ausbildung zu entwickeln. Die Teilprojekte begannen im August 2020. Acht Teilprojekte werden an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und vier Teilprojekte an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg durchgeführt.

Teilprojekte

TP 1: Verknüpfung von fachdidaktischem Wissen und logischem Schließen beim Aufstellen und Prüfen von Diagnosehypothesen zu Schülerfehlern.

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Adaptiver und individualisierter Unterricht basiert auf treffsicherer Feststellung von fehlerhaften Schülervorstellungen (v. a. nicht tragfähigen Vorstellungen) seitens der Lehrkräfte. Solche Fehlkonzepte können anhand fehlerhaft gelöster Aufgaben diagnostiziert werden. Die Diagnose setzt neben dem Wahrnehmen von Aufgabenmerkmalen und Fehlerbildern auch die Anwendung von fachdidaktischem Wissen zu Fehlkonzepten als die Ursache solcher Fehlerbilder voraus. Im Bereich des Dezimalbruchvergleichens sind die häufigsten Fehlkonzepte und die resultierenden Fehlerbilder gut erforscht. Bei der Bearbeitung von Aufgaben können allerdings verschiedene Fehlkonzepte zu demselben Fehlerbild führen. Die Herausforderung für die diagnostizierenden Lehrkräfte besteht nun darin, weitere Aufgaben zur Bearbeitung so auszuwählen, dass eine eindeutige Zuschreibung von verschiedenen Fehlerbildern zu einem Fehlkonzept als Ursache vorgenommen wer-den kann. Dabei ist anzunehmen, dass Lehrkräfte Bestätigungstendenzen (confirmation bias) unterliegen können, d. h., sie wählen Aufgaben, die ihre Ausgangshypothese bestätigen, statt eine mögliche Widerlegung zu prüfen (Norman & Eva, 2010; Wason, 1968). Daher benötigen sie neben fachdidaktischem Wissen (über mögliche Fehlkonzepte zum Diagnosegegenstand) auch strategisches Wissen zum angemessenen diagnostischen Schließen. In experimentellen Studien wird im Bereich des Vergleichens von Dezimalzahlen der Einfluss fachdidaktischen Wissens auf die Interpretation von Fehlerbildern (Rückschluss von einer Lösung auf mögliche Ursachen), der Einfluss strategischen Wissens auf die Aufgabenauswahl (zur Eingrenzung der Fehlerursache) sowie die Verknüpfung dieser beiden Wissensfacetten untersucht.

TP 2: Integrierte Nutzung von fachdidaktischem und sprachdidaktischem Wissen bei der Interpretation von lernrelevanten Merkmalen in Mathematikaufgaben und Schülerlösungen.

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Lehrkräfte schätzen Anforderungen an Lernende und deren Äußerungen im Fachunterricht auf der Basis ihres fachdidaktischen Wissens ein. In Anbetracht der Bedeutung sprachlicher Merkmale von Lehr-Lernsituationen muss auch die sprachdidaktische Perspektive bei der Einschätzung berücksichtigt werden. Während zu den lernrelevanten sprachlichen Merkmalen bereits vielfältige Befunde vorliegen, ist das Wissen über die Urteilsprozesse von Lehrkräften in diesem Bereich noch wenig systematisch untersucht und beruht weitgehend auf Erfahrungen aus Fortbildungskontexten. Bezogen auf den Mathematikunterricht und das Lehren und Lernen von Mathematik ist die Verknüpfung der beiden Bereiche „sprachliche Strukturen“ und „Mathematisierung“ von besonderer Bedeutung: Während auf der Ebene von Oberflächenmerkmalen die beiden Dimensionen Sprache und Mathematik eher getrennt betrachtet werden können, hängen bei Tiefenmerkmalen die beiden Bereiche sowohl für diagnostische Urteile als auch für didaktische Entscheidungen eng zusammen: Lehrkräfte müssen z. B. erkennen, welche Satzkonstruktionen oder welche Präpositionen unter Berücksichtigung der erforderlichen Mathematisierung oder der zu aktivierenden Grundvorstellung zentral lernrelevant oder erschwerend sein können (Wilhelm 2016). Dazu benötigen sie neben fachlichem und sprachwissenschaftlichem insbesondere fach- und sprachdidaktisches Wissen. Es ist anzunehmen, dass eine enge Verknüpfung des spezifischen fach- und sprachdidaktischen Wissens eine höhere diagnostische Treffsicherheit ermöglicht. In der vorliegenden Studie werden daher verschiedene Wissensrepräsentationen aufgebaut (fach- und sprachdidaktisch getrennt vs. integriert) und ihre Nutzung bei der Interpretation von Aufgabenstellungen und Aufgabenbearbeitungen (in Form von Vignetten) untersucht. Es wird angenommen, dass bei verbalen Kurzantworten diagnostizierender Lehrkräfte, die integrierte Form des Wissens auch zu einer tiefergehenden und vernetzten Einschätzung der Aufgabenschwierigkeiten führt.

TP 3: Integration von fachlichem und fachdidaktischem Wissen bei der Wahrnehmung und Interpretation von Schülervorstellungen zu Stoffen und ihren Eigenschaften.

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Die Fähigkeit von Lehrkräften, Lernendenvorstellungen als Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern im Chemieunterricht zu diagnostizieren und ihren Einfluss auf den Unterrichtserfolg einschätzen zu können, trägt im hohen Maß zur Qualität eines adaptiven Unterrichts bei. Es besteht Einigkeit, dass vor allem das fachdidaktische Wissen (PCK), aber auch das chemische Fachwissen (CK) einer Lehrkraft einen wichtigen Einfluss auf die Qualität des diagnostischen Urteils haben. Ungeklärt ist allerdings, ob und an welchen Stellen die Wissensbereiche im Prozess der Genese eines diagnostischen Urteils wirksam werden. Wir gehen entsprechend des DiaCoM-Rahmenmodells (Loibl et al., 2020) davon aus, dass die Genese eines diagnostischen Urteils zu Lernendenvorstellungen durch einen Informationsverarbeitungsprozess (ein Hinweisreiz führt zu einer Relevanzeinschätzung und diese führt zum diagnostischen Urteil) durch spezifisches Wissen (CK und PCK) beeinflusst wird: Es wird untersucht, ob die Wissensdomänen CK und PCK die Informationsverarbeitung beeinflussen und inwiefern sich die Informationsverarbeitung verändert, wenn diese Wissensdomänen durch Interventionen gezielt manipuliert werden. Mithilfe der Argumentation der Lehramtsstudierenden sollen Rückschlüsse auf deren Informationsverarbeitung gezogen werden. Erwartet werden Hinweise auf die Art und Weise der Integration der Wissensbereiche CK und PCK in den Informationsverarbeitungsprozess.

TP 4: Nutzung von Informationen durch Lehramtsstudierende bei der Diagnose von (An)Zahl- und Operationsvorstellungen von Erstklässler(inne)n.

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Unterrichtsnahes diagnostisches Handeln von Lehrkräften zeichnet sich durch hohe Komplexität aus; die situativen Informationen sind oft sehr reichhaltig. Sie müssen wahrgenommen werden und es muss entschieden werden, ob sie hoch valide oder wenig valide für ein diagnostisches Urteil sind. Die Befundlage in der Professionsforschung deutet darauf hin, dass Noviz(inn)en aus unterschiedlichsten Domänen nicht zwischen hoch und wenig validen Informationen unterscheiden, sondern für ihr Urteil alle zur Verfügung stehenden Informationen nutzen. Auf dem Weg zu diagnostischer Expertise sollten Lehrkräfte zunehmend in der Lage sein, Informationen mit hoher Validität zu identifizieren und selektiv zu nutzen. Im Teilprojekt soll geprüft werden, ob Lehramtsstudierende (als Noviz(inn)en) tatsächlich alle ihnen vorliegenden Informationen ungefiltert nutzen oder ob sich die Informationsverarbeitung und die Qualität des diagnostischen Urteils durch die Kenntnis über die Validität der Informationen beeinflussen lassen. Der Fokus liegt dabei auf reichhaltigen, aufgabenbasierten Unterrichtssituationen aus dem arithmetischen Anfangsunterricht der Grundschule, die durch authentische Text-Bild-Vignetten repräsentiert werden. Die Validität der Informationen wird durch die bestehende Forschungsliteratur definiert und durch fachdidaktische Expert(inn)en validiert. Die Informationsnutzung wird durch Variation der bereitgestellten Informationen und durch Prozessdaten mittels der Restricted-Focus-Viewer-Technik (Jansen et al. 2003) ermittelt.

TP 5: Einfluss von fachdidaktischem und pädagogisch-psychologischem Wissen auf die Wahrnehmung und Interpretation von konkurrierenden Merkmalen in Schüleräußerungen zum Thema Säuren und Basen.

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Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern adäquat einschätzen zu können, stellt eine zentrale Aufgabe des Lehrerberufs dar. Für diagnostische Entscheidungsprozesse ist anzunehmen, dass wissenschaftlich gesichertes Wissen in Form von Theorien und Modellen eine Grundlage diagnostischer Entscheidungen bildet, da hierdurch das Erkennen entscheidungsrelevanter Merkmale unterstützt, die Interpretation der Situation fundiert und damit die diagnostische Entscheidung begründet wird. Es gibt zwar theoretische Annahmen und empirische Hinweise dazu, wie sich unterschiedliche Inhalte theoretischen Wissens auf diesen Informationsverarbeitungsprozess auswirken, dennoch bedarf es weiterer Analysen solcher Prozesse in unterschiedlichen Diagnosesituationen, um ein Verständnis für diese Prozesse zu gewinnen. In der vorliegenden Studie werden Entscheidungssituationen generiert, in denen vielfältige Informationen bereitgestellt werden. Es wird angenommen, dass eine diagnostizierende Lehrkraft je nach theoretischer Wissensbasis spezifische Informationen wahrnimmt, interpretiert und für die Entscheidung heranzieht. Vor diesem Hintergrund soll der Frage nachgegangen werden, ob das Wissen zu einer bestimmten psychologischen oder fachdidaktischen Theorie die Informationsverarbeitungsprozesse in der Weise beeinflusst, dass unterschiedliche (diagnostisch relevante) Merkmale wahrgenommen und verarbeitet werden und sich dadurch Entscheidungen verändern. Dies soll anhand von diagnostische Urteilen zu Schüleräußerungen beim Thema Säure und Basen untersucht werden. Die im Rahmen dieses Teilprojekts erzielten Befunde tragen dazu bei, das Verständnis wissensgestützter Prozesse beim professionellen Handeln und die Forschung zu diagnostischen Entscheidungen enger miteinander zu verbinden. Auch sind Erkenntnisse darüber zu erwarten, in welcher Weise verschiedene Wissensbestände bei multiplen Entscheidungsmöglichkeiten zur Entscheidung beitragen.

TP 6: Interpretation von Schülerlösungen zur Auswahl passender Lehrkräfteimpulse zu Brüchen in Abhängigkeit von Zeitdruck und situiertem Vorwissen.

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Diagnosekompetenz von Lehrkräften umfasst die Fähigkeit, in Schülerlösungen Fehlvorstellungen zu erkennen und adaptiv Aufgaben auszuwählen, die dabei helfen können, diese Fehlvorstellungen zu überwinden. Das vorliegende Projekt fokussiert auf solche Anforderungssituationen und zielt auf die systematische Analyse des Einflusses von Situationseigenschaften (mit/ohne Zeitdruck) auf diagnostische Urteilsprozesse von Personen mit unterschiedlichen Personeneigenschaften (fachdidaktisches Wissen, Berufserfahrung). Die Urteilsprozesse werden im Sinne des DiaCoM Rahmenmodells als Informationsverarbeitungsprozesse beschrieben, bei denen die zu verarbeitende Information a) aus Cues der Situation und b) aus der Wissensstruktur der Lehrkraft stammt. Bei den Cues handelt es sich um Schülerlösungen, die auf eine bestimmte Fehlvorstellung im Bereich Brüche hinweisen, sowie um mehr oder weniger relevante Merkmale von Aufgaben zu Brüchen. Bezüglich der Wissensstruktur der Lehrkraft ist insbesondere fachdidaktisches Wissen zu Fehlvorstellungen und Aufgabenmerkmalen maßgeblich. Nach Brunswiks Linsenmodell (1955) und dem DiaCoM Rahmenmodells (Loibl et al., eingereicht 2019) wird davon ausgegangen, dass das Urteil einer Lehrkraft hinsichtlich der passendsten Impulse in einer spezifischen Diagnosesituation davon abhängt, welche der dargebotenen Informationen sie wahrnimmt und wie sie ihr fachdidaktisches Wissen nutzt, um diese Informationen zu verarbeiten. Dabei ist zu erwarten, dass die Informationsverarbeitung sowohl durch die Verfügbarkeit von episodischen Erfahrungen (z. B. Leinhardt & Greeno, 1986; Putnam & Borko, 2000) als auch durch Zeitdruck beeinflusst wird (Dual-Process-Theorien, z. B. Kahneman, 2000, vgl. Rieu, Loibl, Leuders & Herppich, im Druck, für Urteilsprozesse bei der Schwierigkeitseinschätzung mit und ohne Zeitdruck). Zur Erfassung der Urteilsprozesse werden nicht nur die Auswahl der Lehrkräfteimpulse, sondern auch Protokolle zum Lauten Denken sowie Blickbewegungen durch Eyetracking erfasst

TP 7: Einfluss von fachlichem und fachdidaktischem Wissen auf die Wahrnehmung und Interpretation von statistischen Präkonzepten in daten­­­­­­­­basierten Entscheidungssituationen.

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Während statistische Präkonzepte von Schülerinnen und Schülern in datenbasierten Entscheidungssituationen als relativ gut beforscht gelten, sind zur Diagnose von statistischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern durch Lehrkräfte noch viele Fragen offen. In diesem Projekt soll im Rahmen des DiaCoM-Modells (Loibl et al., 2020) untersucht werden, wie Lehrkräfte das statistische Denken von Schülerinnen und Schülern beim Vergleich von Datenverteilungen und beim Treffen einer datenbasierten Entscheidung beurteilen. Zur Untersuchung dieser Frage wird ein vignettenbasiertes Testinstrument entwickelt, in dem Leistungsniveaus von Schülerinnen und Schülern beim Vergleich von Datensätzen hinsichtlich der Anzahl der berücksichtigten Merkmale (isoliert oder zusammenhängend) und hinsichtlich der statistischen Natur dieser Merkmale (Zentrum, Streuung, Form) experimentell variiert werden. Einschätzungen und Begründungen von angehenden Lehrkräften (geschlossen und offen) werden über das vignettenbasierte Testformat erhoben und potenzielle Einflüsse auf das diagnostische Urteil und den Urteilsprozess in einem experimentellen Design überprüft.

TP 8: Einfluss von eigenen fachlichen Einstellungen von Biologie- und Religionslehrkräften auf die Wahrnehmung von Lernendeneinstellungen zur Kosmogenese, Evolution und Schöpfung.

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Zutreffende Diagnosen der Einstellungen und Überzeugungen von Schüler(inne)n in Bezug auf die Entstehung der Welt und des Lebens stellen eine notwendige Bedingung für die Initiierung erfolgreicher Lehr- und Lernprozesse dar. Während in vielen Studien die Einstellungen sowohl von Schüler(inne)n als auch von Lehrkräften erhoben wurden, ist bislang wenig darüber bekannt, wie Lehrkräfte selbst zu angemessenen Urteilen über die Einstellungen von Schüler(inne)n kommen. Es scheint so zu sein, dass Lehrkräfte dazu grundsätzlich in der Lage sind. Jedoch bestehen zwischen den Lehrkräften bezüglich zutreffender Einschätzungen erhebliche Unterschiede. Die Studie zielt darauf ab, die Informationsverarbeitungsprozesse (Wahrnehmung und Verarbeitung von Hinweisreizen) beim diagnostischen Urteilen über Einstellungen und Überzeugungen von Schüler/innen zur Kosmogenese und der Entstehung und Entwicklung des Lebens aufzuklären und dabei den Einfluss von Personencharakteristika der urteilenden Lehrkräfte auf die Diagnoseleistung zu erfassen. Die Ergebnisse tragen dazu bei, dass die hier in den Blick genommene, voraussetzungsreiche Facette diagnostischen Denkens gezielt gefördert werden kann.

TP 9: Einfluss subjektiver Theorien über den Zusammenhang zwischen Autismus und schulischer Leistungsfähigkeit auf die Wahrnehmung und Interpretation des Lernens autistischer Schüler(innen).

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Im Projekt werden subjektive Theorien über Autismus von (angehenden) Grundschullehrkräften und ihr Einfluss auf die Diagnose der schulischen Leistungsfähigkeit autistischer Schülerinnen und Schüler untersucht. Bezogen auf das DiaCoM-Rahmenmodell (Loibl et al., eingereicht 2019) sind die subjektiven Theorien die zentrale Personencharakteristik, während die zu diagnostizierende schulische Leistungsfähigkeit die Situationscharakteristik darstellen. Das diagnostische Denken der (angehenden) Grundschullehrkräfte wird durch ihre subjektiven Theorien über Autismus beeinflusst. Annahme ist, dass das diagnostische Urteil über die schulische Leistungsfähigkeit aufgrund der subjektiven Theorien über den Zusammenhang zwischen autistischen Symptomen und Aspekten der schulischen Leistungsfähigkeit verzerrt ist. Das diagnostische Verhalten wird mittels Prozessen (Anregung subjektiver Theorien durch Informationen über Symptome autistischer Schülerinnen und Schüler) und mittels Produkten (Urteil der schulischen Leistungsfähigkeit) untersucht.

TP 10: Stress als Ursache für die Reduktion der kognitiven Kapazität bei der Wahrnehmung und Interpretation von Anforderungen in Aufgaben und Lesestrategien von Lernenden.

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Das fachliche und fachdidaktische Wissen der Lehrkraft bezogen auf schwierigkeitsgenerierende Aufgabenmerkmale in Lesetests und Lesestrategien spielt eine entscheidende Rolle zur Einschätzung und Förderung der Lesekompetenz ihrer Schüler. Der Prozess des Diagnostizierens geschieht in realen Lehr-Lern-Situationen jedoch oftmals unter dem Einfluss von Stress. Bislang wurden solche Bias-Faktoren in Untersuchungen jedoch entweder nicht berücksichtigt oder nach Möglichkeit ausgeschaltet. Die Betrachtung störender Faktoren ist jedoch von entscheidender Bedeutung, um die Validität bisheriger Forschungsergebnisse einschätzen und das Ausmaß des Einflusses solcher Verzerrungsfaktoren quantifizieren zu können. Das vorliegende Teilprojekt untersucht zu diesem Zweck die Wirkung von Stress als State-Komponente auf die Urteilsgenauigkeit zu Aufgabenschwierigkeiten und zur Angemessenheit von Lesestrategien. Es wird erwartet, dass das fachliche und fachdidaktische Wissen die Effekte von Stress abmildern kann. Zudem werden sich voraussichtlich auf der Grundlage der so gewonnenen Daten, Schlüsse über die Prozesse bei der Urteilsfindung ziehen lassen.

TP 11: Einfluss von Mindsets auf die Sicherheit und Genauigkeit von Diagnosehypothesen über mathematischen Operationsvorstellungen beim Interpretieren von Schülerlösungen.

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Diagnostische Urteile über Lernende sind in der Regel mit Unsicherheit verbunden (weil z. B. mehrere Ursachen für einen Fehler möglich sind und Schülerverhalten nicht immer konsistent ist). Solche unsicheren Urteile sind als Hypothesen aufzufassen, die durch weitere Information untermauert oder geschwächt werden. Theoretisch lässt sich ein solches, mehrschrittiges diagnostisches Urteilen daher als Reduktion von Unsicherheit durch datengestützte Inferenz auffassen: Aufgrund neuer vorliegender Daten (z. B. weitere Schülerlösungen) werden die unsicheren Diagnosehypothesen aktualisiert. Dieser Prozess lässt sich mit Modellen Bayesscher Inferenz beschreiben (vgl. Griffiths, Kemp & Tenenbaum, 2008). Während Bayessche Modelle ideale Schlüsse bei Unsicherheit beschreiben, sind menschliche Schlüsse von kontextuellen Bedingungen beeinflusst (z. B. Krolak-Schwerdt et al., 2012). Beispielsweise sagt die Mindset-Theorie (Gollwitzer, 2012; Gollwitzer & Keller, 2016) voraus, dass Unsicherheit bei so genannten deliberaten Mindsets stärker berücksichtigt wird als bei implementalen Mindsets. Der deliberate Mindset zeichnet sich durch Abwägen vielfacher Entscheidungsaspekte vor der Entscheidung aus. Ein implementaler Mindset hingegen fokussiert zielgerichtetes, schnelles Problemlösen nach einer Handlungsentscheidung. Im Projekt werden angehende Lehrkräfte vor der Diagnosesituation in einen deliberaten oder implementalen Mindset versetzt. Anschließen entscheiden die (angehenden) Lehrkräfte anhand von Lernendenprodukten (mit systematisch variierten Hinweisreizen) über deren latente Eigenschaften (z. B. Fehlvorstellung, Wissensstufe etc.). Erwartet werden Erkenntnisse dazu, wie gut sich die Informationsverarbeitung beim diagnostischen Urteilen als Unsicherheitsreduktion im Sinne einer Bayesscher Inferenz modellieren lässt und inwieweit sich die Abweichung der menschlichen Urteile von einem idealen Bayeshschen Urteil durch die Mindsets der urteilenden Lehrkraft erklären lässt.

TP 12: Interpretation von unterschiedlichen Anforderungen in Aufgaben zum Thema Preisbildung in Abhängigkeit von einer induzierten fachdidaktischen Aufmerksamkeitsfokussierung.

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Ein zentrales Thema des Wirtschaftsunterrichtes ist das Konzept der Preisbildung bei Wettbewerb. Aufgaben zur Preisbildung, wie sie hier in der Regel eingesetzt werden, unterscheiden sich aus fachlicher Sicht insbesondere in Bezug auf die angesprochenen Aspekte des Preisbildungskonzeptes sowie aus didaktischer Sicht durch die Zugänge mit ihren Vor- und Nachteilen. Für die Einschätzung der fachdidaktischen Qualität einer Preisbildungsaufgabe reicht die fachliche oder didaktische Qualität jedoch nicht aus, sondern es ist ebenfalls entscheidend, dass beide Aspekte angemessen verknüpft werden, d. h., dass der gewählte didaktische Zugang nicht nur grundsätzlich geeignet ist, sondern an den entscheidenden Stellen den Lernprozess zum Aufbau eines fachlich angemessenen Konzepts unterstützt. Um zu einer adäquaten Interpretation der fachdidaktischen Aufgabenqualität zu kommen, muss also fachdidaktisches Wissen im Sinne einer echten Integration von fachlichem und didaktischem Wissen genutzt werden. Entsprechend untersucht das Projekt, inwieweit spezifisches fachliches und didaktisches Wissen spontan bzw. durch eine Aufmerksamkeitsfokussierung integriert werden können, um die fachdidaktische Tiefenstruktur der Aufgaben wahrzunehmen und ihre Qualität entsprechend zu interpretieren. Dazu werden im Rahmen eines experimentellen Designs die Wahrnehmung und Interpretation der fachdidaktischen Aufgabenqualität von Proband(inn)en mit spezifischem fachlichen und didaktischen Wissen ohne bzw. mit Aufmerksamkeitsfokussierung (Experimentalgruppen F&D bzw. F&D+) verglichen mit den Urteilsprozessen von Proband(inn)en mit spezifischem fachdidaktischen Wissen (Vergleichsgruppe FD).

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