Egal ob literarische Werke oder Sachtexte: Zentral steht die Rezeption eines nicht veränderlichen Objekts und die anschließende intensive Auseinandersetzung mit dessen Inhalten. In klassischen Lehr-Lernsettings erhalten die Lernenden erst in der folgenden Unterrichtseinheit eine Rückmeldung darüber, ob der Text adäquat verstanden wurde, wobei es der Lehrkraft einerseits und dem Lernwillen der Schüler*innen andererseits obliegt, dies sicherzustellen. Demgegenüber erfordern Computerspiele bereits während der Rezeption eine intensive Auseinandersetzung mit Form und Inhalten (vgl. Boelmann 2015), da das Spiel durch seine vielfältigen Rückmeldesysteme (vgl. Bopp 2005) nur solches Handeln erlaubt, das ein Verstehen oder eine Auseinandersetzung dokumentiert. Dabei steht weniger die Rezeption und Reproduktion im Fokus, sondern das problemlöseorientierte (vgl. Kraam-Aulenbach 2002) und im besten Falle vernetzte Selbergestalten. Im Spiel lernen die Schüler*innen induktiv durch ihr Handeln und die virtuell gemachten Erfahrungen (vgl. Boelmann & Stechel 2020), nicht durch deduktive Instruktionen.

Welche Potenziale haben Computerspiele für den Unterricht?

Computerspiele eröffnen Wege neuen Lernens, bieten den Spielenden individuelle und vielfältige Zugangsweisen zu ihrem jeweiligen Handlungsrahmen und eröffnen dabei Räume für Kreativität und die Umsetzung eigener Ideen. Hierdurch besteht das Potenzial, durch den Einbezug digitaler Technologien ein zugleich lebenswelt- und zukunftsorientiertes Lernen zu realisieren, das auf den Prämissen der Selbstwirksamkeit und des Erfahrungslernens aufbaut.

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Das Zentrum für didaktische Computerspielforschung (ZfdC) an der Pädagogischen Hochschule Freiburg untersucht Potenziale und mögliche Einsatzszenarien von digitalen Bildschirmmedien. In seinen Fortbildungen und Workshops entwickeln Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen ihre individuellen Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien weiter und sammeln Erfahrungen in unterschiedlichen Medienfeldern. Die Lunchtime–Lessons präsentieren Lehrerwissen in Kürze. Das ZfdC veröffentlicht regelmäßig Materialempfehlungen, welche Spiele und Augmented Reality bzw. Virtual Reality Anwendungen für den Einsatz im Unterricht geeignet sind.

In diesem Beitrag führen wir Sie in die gegenstandsspezifischen Potenziale von Computerspielen ein.

Für eilige Leser halten wir eine Zusammenfassung bereit.

Computerspiele fördern kreatives Problemlösen und Handlungskompetenz

Die Herausforderungen, die mit unserer immer vernetzteren Welt einhergehen, erfordern kreative Problemlösekompetenzen, die nicht nur in einer bestimmten Situation abgerufen werden können, sondern sich an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen und sich fortlaufend weiterentwickeln. Computerspiele bieten den spielenden Schüler*innen die Möglichkeit – im Rahmen des programmierten und damit beschränkten Rahmens der spezifischen Handlung – eigene Entscheidungen zu treffen und die vorliegende Spielwelt selbstständig handelnd zu erschließen (vgl. Venus 2012). Insbesondere Computerspiele der neueren Generation (u.a. Life Is Strange (Dontnod Entertainment, 2015), Beholder (Warm Lamp Games, 2016), This War of Mine (11bit, 2014), Orwell (DROG, 2018), Papers, Please (Lucas Pope, 2013) oder A Way Out (Electronic Arts, 2018) ermöglichen den Spielenden spezifische Erfahrungsräume, in welchen sie selbst für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden und sich mit den Konsequenzen ihres Tuns auseinandersetzen müssen. Durch die Überlagerung von Spielfigur und Spielenden wird es möglich, spezifische Situationen mitzuerleben und damit zu einem tiefergehenden Verstehen situativer Faktoren und externer Handlungszwänge zu gelangen.

Computerspiele als didaktische Lernumgebungen

Zusätzlich stellen Computerspiele didaktische Lernumgebungen dar, in denen fähigkeitsangepasst gelernt werden kann. Im Sinne eines adaptiven Testens erfassen die Rückmeldesysteme des Computerspiels beispielsweise, was Spieler*innen bereits können und was sie noch lernen müssen, um im Spielverlauf weiter kommen zu können. Je nach Fähigkeitsstand wird daraufhin die Spielschwierigkeit angepasst, abgesenkt oder aber erhöht, an manchen Stellen müssen Passagen auch wiederholt werden. Mithilfe dieser Gestaltungsstruktur ist es daher möglich, die Aufgabenschwierigkeit für alle Spielenden individuell anzupassen und ein niveaudifferenziertes und dennoch gegenstandsgleiches Lernen aller Schüler*innen zu ermöglichen.

Darüber hinaus konfrontieren Computerspiele die Spielenden mit situativ-echten Problemen (vgl. Fromme et al. 2008), die situationsangemessen und kreativ gelöst werden müssen. Während situativ-echte Probleme in klassischen Unterrichtsformen wie Plan- oder Rollenspielen nur sehr schwer im Klassenzimmer realisiert und im Vorfeld mit hohem Aufwand vorbereitet werden müssen, stellen Computerspiele die Schüler*innen im Spielverlauf vor zunehmend schwerer werdende Herausforderungen, die zusätzlich verschiedene Anforderungen miteinander verbinden und damit vernetzte Denkstrukturen befördern.

Computerspiele bieten auch das Potenzial kommunikativen und kollaborativen Lernens. Gerade in kollaborativen Onlinespielen wie World of Warcraft kommunizieren die Spielenden während des eigentlichen Spiels in Chats und Onlineforen über den Spielverlauf, diskutieren Strategien oder tauschen sich über die Figuren im Spiel aus. Während bereits diese Austauschforen zahlreiche Lernpotenziale für anschlusskommunikative Fähigkeiten bieten und strukturell durchaus der literarischen Gesprächskultur ähneln (vgl. Naujok 2012), begünstigen neuere Spielformate zunehmend auch vernetzte und interaktive Formen des Kollaborativen.

Für eilige Leser

Zu den gegenstandsspezifischen Potenzialen von Computerspielen gehören

  • intensive Auseinandersetzung mit Form und Inhalten bereits während der Rezeption
  • Förderung von problemlöseorientiertem, vernetztem Selbergestalten um die Spielwelt selbstständig handelnd zu erschließen
  • niveaudifferenziertes und dennoch gegenstandsgleiches Lernen aller Schüler*innen durch Anpassung des Schwierigkeitsgrads
  • situativ-echte Probleme
  • kommunikatives und kollaboratives Lernen, insbesondere in kollaborativen Onlinespielen

Materialien

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Das Zentrum für Didaktische Computerspielforschung hält Empfehlungen für Sie bereit, welche Anwendungen sich für den Einsatz im Unterricht eignen.

Weiterführende Quellen

Boelmann, Jan M. (2015): Literarisches Verstehen mit narrativen Computerspielen. Eine empirische Studie zu den Potenzialen der Vermittlung von literarischer Bildung und literarischer Kompetenz mit einem schüleraffinen Medium. München: Kopaed (Medien im Deutschunterricht, 13).

Boelmann, Jan M.; König, Lisa (2020): Es war einmal eine neue Welt…Märchenerzählungen in virtuellen Welten. In: IDE. H.3. S. 65-76.

Boelmann, Jan M.; König, Lisa (2021): „Mehr als nur wischen“ – Literarisches Lernen im digitalisierten Grundschulunterricht. In: Frederking, Volker/ Ladel, Silke (Hrsg.): Grundschule digital. Innovative Konzepte für die Fächer Deutsch und Mathematik. Münster: Waxmann. S. 45-70.

Boelmann, Jan M.; Stechel, Janek (2020): Erfahrungsbasiertes Lernen mit Computerspielen in formalen Bildungskontexten. In: Informationen zur Deutschdidaktik (2), S. 9–21.

Bopp, Matthias (2005): Immersive Didaktik. Verdeckte Lernhilfen und Framingprozesse in Computerspielen. In: kommunikation@gesellschaft 6 (2). Online verfügbar unter https://www.kommunikation-gesellschaft.de/B2_2005_Bopp.pdf, zuletzt geprüft am 23.10.2019.

Fromme, Johannes; Jörissen, Benjamin; Unger, Alexander (2008): Bildungspotenziale digitaler Spiele und Spielkulturen. In: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung (15). S. 1-23.

Kraam-Aulenbach, Nadia (2002): Interaktives, problemlösendes Denken im vernetzten Computerspiel. Dissertation. Bergische Universität Gesamthochschule Wuppertal, Wuppertal.

Naujok, Natascha (2012): Zu zweit am Computer. Interaktive und kommunikative Dimensionen der gemeinsamen Rezeption von Spielgeschichten im Deutschunterricht der Grundschule. München: kopaed.

Venus, Jochen (2012): Erlebtes Handeln in Computerspielen. In: GamesCoop (Hg.): Theorien des Computerspiels zur Einführung. Zur Einführung. Unter Mitarbeit von Benjamin Beil, Philipp Bojahr, Thomas Hensel, Britta Neitzel, Timo Schemer-Reinhard und Jochen Venus. Hamburg: Junius, S. 104–127.